Klassische Internet-Telefonie

netplanet Werbung

Klassische Internet-Telefonie baut in erster Linie auf offene und herstellerunabhängige Standards auf. Das ist die wichtigste Grundlage für produkt- und plattformübergreifende Telefonielösungen, aufbauend auf H.323 oder SIP. Interessanterweise lässt sich aber an beiden Protokollen sehr schön die unterschiedliche Philosophie der "Telefonleute" und der "Internetleute" erkennen.

Die Idee aus der Telefoniewelt - H.323

Das etwas zungenbrecherische Kürzel H.323 bezeichnet eine Protokollfamilie (eine so genannte "Umbrella"-Empfehlung, die sich darauf bezieht, dass der Standard als Sammelschirm für viele einzelne Standards dient) der International Telecommunication Union (ITU). Sie wurde als Empfehlung des Telecommunication Standardization Bureau (ITU-T) im Jahre 1996 veröffentlicht und gilt deshalb als offizieller Standard. Der Präfix-Buchstabe "H" kennzeichnet in der Nomenklatur der ITU, dass die Protokollfamilie zum Bereich "Audiovisuelle und multimediale Systeme" gehört, während die Zahl 323 eine Kennzeichnung ist, dass H.323 in die Familie der H.32x-Serie ist. Diese Serie enthält verschiedene Protokollfamilien, unter anderem auch welche, die die klassische Telefonie und ISDN beschreiben. Zur Anpassung des Übertragungsweges nutzt H.323 das Protokoll Real-Time Transport Protocol (RTP), das, vereinfacht gesagt, dafür sorgt, dass H.323-Daten auf IP-Netzwerken übertragen werden können.

Dieses Zurückgreifen auf bereits vorhandene, offizielle ITU-Telefoniestandards ist ein großer Vorteil für H.323, weil so schon recht frühzeitig ein kompletter Standard präsentiert werden konnte, der einsatzfähig Sprache über das Internet beziehungsweise IP-Netzwerke transportieren kann. Dies erleichterte beispielsweise Herstellern von Telefonanlagen die Implementierung von H.323 in vorhandene Systeme. Die Zielgruppe von H.323 war deshalb von Anfang an vor allem Unternehmen, die größere Telefonanlagen und lokale Netzwerke betreiben und nach einer Möglichkeit suchen, beide Welten miteinander zu verheiraten.

Die Zusammenfassung verschiedener Protokolle unter einem gemeinsamen Hut hat im Falle von H.323 allerdings auch einen großen Nachteil: Die Implementierung ist sehr telefonlastig, während auf der Netzwerkseite teilweise sehr aufwendige Konfigurationen an bestehenden Firewalls und Netzwerkgerätschaften notwendig werden (siehe zu den grundsätzlichen Diskrepanzen zwischen den "Telefonleuten" und den "Internetleuten" auch Wer entwickelt das Internet?). Einer der größten Probleme von H.323 ist beispielsweise, dass für viele H.323-fähigen Clients eine Vielzahl von Ports an einer Firewall freigeschaltet werden müssen und dass ebenfalls viele H.323-Clients Probleme mit dem Empfang von Telefongesprächen haben, wenn in einem Netzwerk NAT verwendet wird, was inzwischen in den meisten Unternehmensnetzwerken der Fall ist. Hinzu kommt das größte Problem, dass einige H.323-Clients (beispielsweise Microsoft Netmeeting) dynamische Ports für die Kommunikation untereinander nutzen und die Unternehmens-Firewall deshalb mit einer speziellen Erweiterung die Kommunikation nach außen übernehmen muss. Das wird mit so genannten H.323-Gatekeeper realisiert.

In der Zwischenzeit gibt es zwar Verbesserungen in H.323, die die gröbsten Mängel im Netzwerkbereich beheben (z.B. H.460.18, mit dem das NAT-Problem behoben wird), dennoch leidet die Reichweite von H.323 nachhaltig unter den ursprünglichen Problemen und ist ein fast klassisches Beispiel dafür, wie eine an sich gute Protokollfamilie nachhaltig in Misskredit kommen kann, wenn in einer technologieübergreifenden Standardentwicklungen nicht alle Seiten gleichberechtigt in der Entwicklung berücksichtigt werden. H.323 fristet heute deshalb trotz seiner technischen Einsatzfähigkeit weitgehend nur noch ein Nischendasein im Bereich von Telefonanlagen und innerhalb von Unternehmensnetzwerken.

Die Antwort aus der Netzwelt - SIP

Die Abkürzung SIP steht für Session Initiation Protocol und ist eine Entwicklung der IETF (siehe hierzu auch Standardisierung im Internet) für Voice over IP. Die Entwicklungen begannen gegen Ende des 90er Jahre des 20. Jahrhunderts und wurden in mehreren RFC ab 1999 offiziell als Standard veröffentlicht.

Der Hauptaugenmerk, der bei der Entwicklung auf SIP gelegt wurde, war eine bessere Technologie zur Verteilung von multimedialen Inhalten an die Begebenheiten des Internet-Protokolls und der Struktur des Internet selbst. Gleichzeitig wurde der Entwicklung Tribut gezollt, dass zwar im Unternehmenseinsatz immer noch meist eine Telefonzentrale vorhanden ist, im Privatbereich jedoch eher selten. Um aber auch im Privatbereich Telefonielösungen anbieten zu können, ist es in erster Linie erforderlich, ein möglichst schlankes und robustes Protokoll zu haben, das auch die Nutzung durch Laien ermöglicht.

SIP ist im Grunde genommen keine vollständige Voice-over-IP-Lösung, sondern zuerst einmal ein so genanntes Signalisierungsprotokoll. Dies bedeutet, dass SIP in erster Linie dazu dient, Gespräche und Sitzungen aufzubauen und zu verwalten. Dies besagt auch der Protokollname, der auf Deutsch übersetzt so viel wie "Sitzungsinitialisierungsprotokoll" bedeutet. Die Datenströme der Sitzungen, die SIP verwaltet, können dann beliebige Inhalte haben, eben auch Sprachinformationen zum Telefonieren, aber auch multimediale Inhalte wie Videobilder.

Dass der Ansatz von SIP sich hervorragend für Voice over IP eignete, wurde während dieser Entwicklung erkannt, weswegen die Entwicklung von SIP im Gegensatz zu vielen anderen Entwicklungen regelrecht stürmische Züge hatte. Viele erfolgreiche Implementierungen wurden vorgestellt und vermarktet, obwohl einige SIP-Entwicklungen noch inmitten Standardisierungsverfahren steckten. Das große Chaos blieb jedoch, sicherlich auch aufgrund des modularen und techniktoleranteren Ansatzes, aus.

Ebenso wie H.323 arbeitet SIP ebenfalls als Container für multimediale Inhalte. Um SIP auch bei höherem Aufkommen und auch auf kleineren Systemen lauffähig zu halten, ist es einfacher strukturiert und besitzt einen ähnlichen Protokollaufbau wie HTTP (siehe hierzu auch Hypertext Transfer Protocol - HTTP). Teilbereiche von Aufgaben werden von getrennten Protokollen übernommen:

  • Session Description Protocol - SDP ("Sitzungsbeschreibungsprotokoll")
    Das Session Description Protocol ist zuständig für die Beschreibung von zu übertragenden Medienströmen. Es überträgt so Daten wie Anfangs- und Endzeiten, Informationen über die Codierung des Medienstromes, benötigte Bandbreiten, beteiligte Kontaktpersonen, Adressen und Portnummern und andere Informationen. Diese Informationen sind unbedingt notwendig, damit zu Beginn einer SIP-Sitzung Absender und Empfänger sich auf einheitliche Übertragungsmodalitäten einigen können.
  • Real-Time Transport Protocol - RTP ("Echtzeittransportprotokoll")
    Das Real-Time Transport Protocol ist, ebenso wie bei H.323, für die Übertragung der Medienströme mit den zuvor über SDP ausgehandelten Parametern zuständig, da seine Stärken in der Übertragung von Daten in nahezu Echtzeit liegen.

Für die Sprachcodierung werden ähnliche und teilweise dieselben Codierungsverfahren genutzt, wie für H.323 und in der normalen Telefonie. Beliebt bei Herstellern von SIP-Lösungen sind beispielsweise die GSM-Codecs (siehe hierzu auch Global System for Mobile Communication), da diese sehr gut Sprache komprimieren und deshalb wenig Bandbreite verbrauchen. Grundsätzlich sind aber in den meisten SIP-Lösungen mehrere Sprachcodierungsverfahren integriert, um größtmögliche Kompatibilität gegenüber anderen SIP-Clients zu bieten. Ebenfalls möglich sind in den meisten SIP-Clients die Übertragung anderer multimedialer Inhalte, so dass viele Clients zum Beispiel auch für die Videotelefonie vorbereitet sind oder auch x-beliebige Daten mit einer SIP-Verbindung übertragen können. Die Modularität von SIP und seinen integrierten Protokollen setzen hier nur sehr wenige Grenzen.

Nicht verschwiegen werden sollte auch der Umstand, dass mit SIP die Idee von Voice over IP zum zweiten Mal geboren werden soll, vor allem aus der kommerziellen Sicht. War Voice over IP in den frühen Jahren aufgrund der sehr hohen Anschaffungskosten vor allem ein Thema für Unternehmen, so hat sich diese Betrachtung inzwischen gewandelt: Viele Haushalte besitzen mit DSL-Anschlüssen inzwischen breitbandige Internet-Zugänge und sind auch bereit, zur Anbindung mehrerer Rechner im Haus einen eigenen Router anzuschaffen, der von vielen Herstellern auch gleich mit SIP-Software ausgestattet wird. Der Anschluss eines handelsüblichen Telefons ist so möglich und der Benutzer muss sich nur noch bei einem kommerziellen SIP-Diensteanbieter anmelden, mit dem sich dann der Router verbindet.

Dieser neue Voice-over-IP-Markt der Privatkunden ist dankbar von Marketingexperten aufgegriffen worden und findet sich als einer der drei Säulen im Begriff des so genannten Triple Play. Damit sind die drei Kerntechnologien Internet-Zugang, Fernsehen und Telefonie gemeint, die über eine Internet-Anbindung und entsprechend anzuschaffenden Gerätschaften genutzt werden können.

Asterisk und Inter-Asterisk eXchange - IAX

Ferner erwähnt sein sollte an dieser Stelle auch das Protokoll Inter-Asterisk eXchange (IAX), das vornehmlich von der kostenfrei erhältlichen Open-Source-Software Asterisk angewendet wird. Asterisk ist eine Telefonanlagensoftware, die als Basis für eine durchaus zu normalen Telefonanlagen konkurrenzfähigen Telefonanlage dient und verhältnismäßig preisgünstig mit handelsüblicher Hardware und ISDN-Karten aufgebaut werden kann.

Für die Kommunikation zwischen Asterisk-Telefonanlagen und auch für die Kommunikation zwischen Asterisk-Telefonanlagen und einzelnen, asterisk-fähigen Clients wurde von den Asterisk-Entwicklern das IAX-Protokoll entwickelt. Es ist noch einfacher aufgebaut wie SIP und arbeitet ebenfalls mit gängigen Sprachcodierungsverfahren. Im Gegensatz zu SIP wurde bei der Entwicklung von IAX darauf geachtet, dass es problemlos mit NAT-Netzwerken (siehe hierzu auch Network Address Translation) funktioniert.

Im Gegensatz zu H.323 oder SIP ist IAX jedoch eine eher proprietäre Entwicklung, da es nicht durch ein Standardisierungsgremium entwickelt wurde und, zumindest derzeit (Stand Mai 2006), noch nicht in einem RFC definiert wurde. Andererseits ist das Verfahren dokumentiert und der Quellcode als Open Source offen, so dass auch hier herstellerübergreifend Anwendungen und Implementierungen entwickelt werden können.

Das Netz ist das Telefonnetz

Weitgehend unbemerkt geschieht in der Telekommunikationswelt hinter den Kulissen nicht weniger als ein historischer Paradigmenwechsel, der mindestens so vergleichbar ist, wie der Umstieg von der manuellen zur automatischen Gesprächsvermittlung. Denn auch wenn noch viele Jahre lang in Haushalten ein analoges oder ein ISDN-Telefon stehen wird - immer seltener wird zwischen Telefonen ein Gespräch über eine tatsächlich individuell geschaltete Telefonleitung geführt.

Wir bewegen uns immer weiter weg von der bisherigen Telefonwelt, in der zu jedem Telefon ein Kabel führte und alle diese Kabel in vielen Vermittlungsstellen individuell zusammengeschaltet werden. Stattdessen basieren moderne Telefonnetze immer stärker als eigenständige Dienste innerhalb großer Datennetze und können beliebig erweitert werden. Für Telekommunikationsunternehmen ist diese Entwicklung ein großer Kostenvorteil, da sie bisher unterschiedliche Netze auf diese Weise so vereinen können, dass nur noch ein universelles Netzwerk übrigbleibt und das dann deutlich kostengünstiger betrieben werden kann.

Für Kunden sind diese untereinander integrierten Netze in der Regel nicht zu unterscheiden, ebensowenig in einer vielleicht unterschiedlichen Servicequalität. Dennoch soll diese Entwicklung nicht darüber hinwegtäuschen, dass letztendlich das Telefonieren nur einen Teil der modernen Telekommunikation darstellt und das auch (und gerade) hinter den Kulissen eine große Rolle spielt.

Weiterführende Links

http://de.wikipedia.org/wiki/Session_Initiation_Protocol
Wikipedia-Artikel zu SIP

WERBUNG
Zum Beginn dieser Seite