Was alles passieren kann, wenn man seine Rechnungen nicht bezahlt, spüren gelegentlich auch die Goliaths in der Branche. Auch Microsoft kam an Weihnachten 1999 in den Geschmack einer solch prickelnden Situation:
24. Dezember 1999, irgendwo in Nashville/Tennessee in den USA. Der Systemberater Michael Chaney will irgendwann im Laufe des Tages, wie wahrscheinlich einige Millionen anderer Nutzer auch, seinen elektronischen Briefkasten beim E-Mail-Anbieter Hotmail abrufen. Doch der Zugang zu seinem Briefkasten misslingt, die Anmeldung mit seinen Benutzerdaten ist nicht möglich.
Nun sind eingefleischte Nutzer des Hotmail-Dienstes solche Ausfälle schon fast gewohnt. Immer wieder gab es in der Vergangenheit Störungen, Ausfälle und Sicherheitsprobleme bei Hotmail zu beklagen, die das Mailen teilweise unmöglich machten. Chaney machte jedoch die Fehlermeldung stutzig, in der sinngemäß behauptet wurde, dass der gesuchte Host nicht gefunden werden kann. Entsprechende Meldungen über einen Ausfall kursierten zu diesem Zeitpunkt auch schon frisch in einschlägigen Internet-Newsboards. Er überprüfte deshalb, ob der Server bei passport.com überhaupt erreichbar war, der für Hotmail und rund 25 anderen Diensten im Internet Benutzerdaten zum Login prüft.
Und siehe da, der gesuchte Server, von dem aus von Hotmail zum Zwecke der Benutzerdatenüberprüfung verweist, war nicht vorhanden. Allerdings war, zum Erstaunen von Chaney, die ganze Domain passport.com nicht mehr erreichbar. Jedenfalls tauchte die Domain in der .com-Zonendatei nicht mehr auf.
Ein Blick in das Whois von Network Solutions ergab das Erstaunliche: Die Domain passport.com war, dank einer nicht bezahlten Rechnung zur Verlängerung der Domaindelegation, seit den frühen Morgenstunden des 24. Dezembers nicht mehr aktiv und auf »on hold« gestellt. Die Domain war also noch voll auf den Registranten eingetragen, ist aber erst dann wieder verfügbar, wenn die Gebühr von 35 Dollar für die Verlängerung an Network Solutions bezahlt wird. Dies ist der letzte Schritt von Network Solutions, nachdem der Registrant einer Domain vorher mehrfach per E-Mail und normaler Post darauf aufmerksam gemacht wird, dass seine Domain zu einer Verlängerungszahlung fällig ist. Diese Hinweise hatte wohl jemand bei Microsoft allesamt übersehen.
Also zückte Michael Chaney seine private Kreditkarte und bezahlte den fälligen Betrag von 35 Dollar am 25. Dezember eben selbst bei Network Solutions per Online-Zahlung, so dass die Domain passport.com in den frühen Morgenstunden des 26. Dezembers wieder im Internet erreichbar war, nachdem der Nameserver, der die .com-Zonendatei bereithält, routinemäßig wieder neu gestartet wurde. Und damit konnte er auch seine E-Mails wieder problemlos bei Hotmail abrufen. Genauso wie Millionen anderer Hotmail-Nutzer.
Die ganze Sache wäre vielleicht nie ans Licht der Welt gekommen, wenn Chaney nach dem Zahlungsvorgang keine E-Mail an den alternativen Internet-Nachrichtendienst Slashdot geschickt hätte, in der er in kurzen Sätzen erklärte, die Domain passport.com bezahlt zu haben und damit wohl die Zugangsprobleme wieder beseitigt sein dürften. Genaueres wisse er nicht, er bezweifle auch, dass die Zugangsprobleme wirklich mit der unbezahlten Domain zusammenhängen könnten.
Das taten sie aber. Microsoft selbst bestätigte am 28. Dezember, dass schon am 24. Dezember Schwierigkeiten bei Hotmail registriert wurden, die letztendlich von Problemen bei passport.com herrührten. Genaue Fehleranalysen auf Seiten Microsofts führten dann angeblich am 25. Dezember wohl zu den gleichen, erstaunten Gesichtern, wie bei Michael Chaney. Nur da war es für Microsoft schon zu spät, Chaney hatte die offen stehende Rechnung schon beglichen. Und nun stellen Sie sich einmal die Gesichter der Microsoft-Leute vor, die samstags bei Network Solutions schnell ihre längst überfällige Rechnung der Domain bezahlen wollen, die sie wochenlang nicht beachtet haben, und dann plötzlich sehen müssen, dass schon jemand vor ihnen die Domain bezahlt hat...
Chaney selbst, ein begeisterter Linux-Anwender, begründete seine Zahlung übrigens damit, dass er auf die Weise nicht versuchen wollte, Microsoft in Verlegenheit zu bringen, sondern sich lediglich dachte, dass er mit seiner Aktion einer Menge Hotmail-Nutzern das Leben erleichtern könnte. Microsoft zeigte sich übrigens durchaus erkenntlich bei Chaney und übersendete ihm einige Tage später einen Scheck über 500 US-Dollar.