File 005 - Die neuen Top-Level-Domains

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Eine fast unendliche Geschichte war die Einführung der ersten generischen Top-Level-Domains nach den schon bestehenden Top-Level-Domains ".com", ".net" und ".org".

Erster Akt - Der Schnellschussversuch

Bis Mitte 1997 war die Domain-Welt im Internet augenscheinlich noch in Ordnung: Das InterNIC, ein Joint Venture zwischen der US-Regierung und der Firma Network Solutions, managte bis dato ohne größere Probleme schwerfällig die drei öffentlich registrierbaren Top-Level-Domains ".com", ".net" und ".org". Jeder, der eine Domain unter diesen Top-Level-Domains registrieren wollte, musste dies über das InterNIC machen. Egal ob Provider oder Einzelperson, die ausufernde Bürokratie und die hohen Preise (Anfang 1997 noch 100 US-Dollar für die Registrierung einer einzigen Domain für zwei Jahre) waren für alle gleich.

Doch es brauten sich dunkle Wolken am Himmel über dem InterNIC zusammen, denn einigen Institutionen, darunter die Internet Assigned Numbers Authority (IANA), war dieses Monopol ein Dorn im Auge. Monopole behindern den Wettbewerb und bieten ideale Voraussetzungen, dass der Monopolist nach und nach immer stärker die Regeln diktiert. Jon B. Postel, damaliger Leiter der IANA, war ein vehementer Gegner der monopolistischen Strukturen der InterNIC. Im Sommer 1998 lief der Vertrag zwischen dem US-Handelsministerium und Network Solutions über den Betrieb des InterNIC aus, es war also Handlungsbedarf angesagt.

Um eine Alternative zum InterNIC-Monopol zu entwickeln, gründete die IANA mit einigen anderen Institutionen und interessierten Firmen einen Rat, den so genannten Council of Registrars (CORE). Dieser Rat versteht sich als Interessensverband, in den jeder eintreten kann, der bestimmte wirtschaftliche Kriterien erfüllt. Und so findet sich hier eine interessante und mitunter auch schillernde Zusammenstellung aus internationalen Telekommunikationsunternehmen, Regierungen, Unternehmensberatungen, nationalen Domain-Registrierungsstellen und Werbeagenturen, die allesamt an der Einführung von neuen Top-Level-Domains mitwirken und mitverdienen wollten.

Vom CORE angedacht war zunächst die Übernahme des InterNIC-Betriebs, um zukünftig die Domainvergabe selbst durchzuführen. Weitere Aufgabe sollte die Einführung von sieben neuen Top-Level-Domains sein:

  • .arts - Entertainment, Kunst, Kultur
  • .firm - Firmen
  • .nom - Private Internet-Adressen
  • .rec - Freizeit, Unterhaltung
  • .shop - Shopping, E-Commerce
  • .web - Angebote "mit Bezug zum World Wide Web"

Die Verwaltung dieser sieben Top-Level-Domains sollte an einer zentralen Stelle vorgenommen werden, auf dessen Datenbanken alle CORE-Mitglieder direkten Zugriff haben sollten. Als offizieller Startschuss war der 1. März 1998 geplant. Die Claims waren also praktisch schon abgesteckt, man wartete ungeduldig auf ein kurzes Okay der US-Regierung, um dann sogleich mit dem "Schürfen" zu beginnen. Man war sich der Sache so sicher, dass man schon vor dem 1. März mit teilweise sogar kostenpflichtigen Vorregistrierungen auf den Markt ging und entwickelte ein Verfahren, um diese Vorregistrierungen nach dem offiziellen Start in einem Lotterieverfahren zu verlosen.

Zweiter Akt - Post aus Washington D. C.

Anfang 1998, inmitten der Vorbereitungen und -freuden der CORE-Mitglieder auf den baldigen Start der Geldquellen, platzte das US-Handelsministerium mit seiner Sicht der zukünftigen Verwaltung des Internet in die Party hinein. Mit dem berüchtigten, so genannten "Greenbook" wurde so ziemlich alles in Frage gestellt, was sich das CORE und die IANA in den letzten Monaten alles so ausgedacht hatte.

Neben der allgemeinen Infragestellung des gesamten bisherigen Prozesses des CORE, befürwortet es das US-Handelsministerium, nur fünf neue Top-Level-Domains einzuführen, wobei sorgsam offen gelassen wurde, welche das genau sein sollen, beziehungsweise ob diese überhaupt aus den sieben, vom CORE vorgeschlagenen Top-Level-Domains kommen sollten. Jede dieser neuen Top-Level-Domains solle dann von einem eigenen Non-Profit-Unternehmen verwalten, selbstverständlich alle mit Sitz in den USA.

Da man schon beim Thema war, ging man im Greenbook gleich noch weiter: Die Verwaltung des Primary Root-Server, also der obersten Autorität im Domain Name System, sollte ebenfalls nach Wunsch des US-Handelsministeriums von einem weiteren Non-Profit-Unternehmen übernommen werden, ebenfalls mit Sitz in den USA. Zwar wollte man an diesem Unternehmen auch ausländische Institutionen, wie zum Beispiel das RIPE und APNIC, beteiligen, dennoch war diese ein indirekte Warnung an die IANA, da diese bisher den Primary Root-Server verwaltete. Zudem war dies ein klarer Hinweis, dass die US-Regierung überhaupt nicht daran denkt, die Verwaltung von wichtigen Diensten in internationale Hände wie beispielsweise der Internationalen Telekommunikationsunion (ITU) zu geben.

Empört über diese knallhart pro-amerikanische Linie des US-Handelsministeriums zeigte sich unter anderem die Europäische Union, die umgehend mit einer eigenen Stellungnahme die Internet-Politik der USA kritisierte und damit der Befürchtung Ausdruck verlieh, dass die Interessen des Auslands gegenüber denen der USA bei dieser Einstellung auch weiterhin benachteiligt würden. Dennoch blieb die US-Regierung bei ihrer harten Linie, die USA stünden in einer besonderen Verantwortung gegenüber der Verwaltung des Internet.

Dritter Akt - Kreative Denkpause und die ICANN

Die bisherigen Bemühungen des CORE wurden durch dieses Greenbook des US-Handelsministeriums schlagartig gestoppt und quasi zunichte gemacht. Für das CORE gab es nach dem Greenbook keine reelle Chance mehr, ihr Vorhaben so durchzusetzen, wie es ursprünglich geplant war.

Der nächste Schritt war die Gründung der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN), die die Interessen der Internet-Gemeinde in den Fragen der technischen Grundressourcen des Internet regeln und wahren sollte. Damit waren faktisch alle die Dinge gemeint, die bisher von der IANA verwaltet wurden.

Die IANA erleidet im Oktober 1998 einen menschlichen Verlust durch den plötzlichen Tod ihres Leiters Jon Postel während eines Krankenhausaufenthaltes. Postel verteidigte die bisherige Politik der IANA vehement, die neuen Top-Level-Domains so bald wie möglich einzuführen.

Vierter Akt - Der neue Anlauf

Im Jahre 1999 wurde ein neuer Anlauf zur Einführung von neuen Top-Level-Domains gestartet, diesmal unter der Federführung der ICANN. Da die IANA mit dem Tod Postels ihr größtes Sprachrohr verloren hatte, kam von Seiten der IANA nur noch wenig Protest. Im Juli 2000 wurde schließlich von der ICANN beschlossen, die Einführung von neuen Top-Level-Domains noch einmal völlig neu zu starten.

Der neue Anlauf wurde im Sommer 2000 zweigleisig gestartet: Zum einen sollte über eine Ausschreibung eine Auswahl an bereitwilligen Unternehmen gefunden werden, die als zukünftige Registrierungsstellen in Frage kommen könnten. Gleichzeitig sollte ein Aufruf an die Internet-Community dafür sorgen, dass Vorschläge über neu einzurichtende Top-Level-Domains zusammenkämen, aus denen dann die tatsächlich einzurichtenden Top-Level-Domains ausgewählt werden sollten:

  • .aero - Flughäfen, Fluglinien, Luftfahrtindustrie
  • .biz - "Business", für große und kleine Unternehmen
  • .info - Informationsdienste
  • .name - Private Adressen
  • .pro - "Professionals", spezielle Berufsgruppen wie Ärzte, Rechtsanwälte etc.
  • .museum - Museen
  • .coop - Genossenschaften

Interessant sind bei diesem Verfahren vor allem die Top-Level-Domains ".biz" und ".info", da es sich hierbei um unbeschränkte Top-Level-Domains handelt, die jeder registrieren darf. Die restlichen Domains sind nur für entsprechende Personengruppen erhältlich, deren Zugehörigkeit muss auch mit entsprechenden Dokumenten bei der Registrierung nachgewiesen werden. Zunächst wurde jedoch ab Herbst 2000 die Einführung der ".biz"- und ".info"-TLD geplant.

Um den Inhabern von eventuellen Namensrechten eine vorrangige Möglichkeit zur Sicherung von Domain-Namen zu geben, wurde für die ".info"-Domain die so genannte "Sunrise-Periode" und für die ".biz"-Domain die "IP-Claim-Periode" eingeführt. In diesen Zeiträumen wurden Vorregistrierungen angenommen. Um eine Verifikation der Namensrechte zu haben, mussten die Besteller von Vorregistrierungen ihre Namensrechte mit Angaben ihrer Markenurkunden nachweisen.

Bei der ".biz"-Domain wurde zusätzlich noch eine Antragsphase geplant, in der jeder Interessent seinen Domainwunsch vorregistrieren konnte. Dazu wurde ein Lossystem eingeführt, bei dem der Interessent eine Anzahl von Losen kaufen konnte. Gab es für einen Domainnamen mehrere Vorregistrierungen, ging die Domain an den Interessenten, der für diese Domain die größte Zahl an Losen hatte.

Fünfter Akt - Das letzte Chaos

So problemlos, wie sich ICANN und die beiden Registrars Afilias (für ".info") und Neulevel (für ".biz") die Einführung vorgestellt haben, lief es dann erwartungsgemäß doch nicht.

Schon bei der Überprüfung der Vorregistrierungen in der Sunrise- bzw. der IP-Claim-Periode stellte sich heraus, dass viele Angaben für angebliche Markenzeichen schlicht falsch waren. Viele hatten offensichtlich darauf spekuliert, dass die Registrierungsstellen es vermutlich bei stichprobenartigen Kontrollen belassen würden und versuchten ihr Glück mit ausgedachten Angaben zu nicht vorhandenen Markenurkunden. Schwierigkeiten gab es auch mit Marken, die mehrere Inhaber hatten, teilweise sogar innerhalb eines Landes. Zwar galt hier die Regel, dass die älteste Marke das Vorrecht bekommen sollte, dennoch verzögerte dies die Vorregistrierungsphasen.

Ein ganz anderes Problem bekam Neulevel mit ihrem Lossystem. Ein amerikanisches Gericht befand, nachdem die Verlosung schon vonstatten ging, dass das Lossystem letztendlich als Glücksspiel zu werten ist und dies in den USA genehmigungspflichtig wäre. So musste die Verlosung wieder rückgängig gemacht werden, alle Teilnehmer bekamen ihre Lose wieder zurück, ebenso wurden alle Registrierungen, die über das Lossystem entstanden sind, wieder zurückgestellt und das Verfahren von neuem gestartet.

Ergebnis war, dass erst im März 2002 die letzten ".biz"-Domains aus Vorregistrierungs- und Verlosungsphasen herauskamen und ordentlich registriert werden konnten.

Letzter Akt - Fazit

Das erwartete Chaos bei den anderen fünf TLD blieb weitgehend aus. Dies war auch nicht sonderlich verwunderlich, da es sich bei den TLD um geschlossene TLD handelte, in denen nur bestimmte Gruppen Domains registrieren können.

Bei der ".info"- und ".biz"-TLD blieb jedoch der erwartete Impuls, dass die neuen Adressräume auch Unternehmen Gelegenheit zu einer Domainregistrierung bieten sollten, deren gewünschter Name in anderen TLD bisher schon vergeben war, aus; die meisten bekannten Markennamen wurden auch von den Markeninhabern registriert. Zudem eröffneten die neuen Adressräumen den Adresshändlern weitere Märkte und sorgten letztendlich für weitere Verwirrung.

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